50€ pro Nacht dafür könnte ein Klischeetourist sich in Thailand 5 Prostituierte leisten, doch so viel kostet nunmal ein Urlaub in einem der schönsten Bergdörfer Japans…
Oder auch nicht!

Dank der Webseite „Workaway“ verbringe ich nun zwei Wochen hier und das so gut wie kostenlos. Dabei sah es vor ein paar Tagen noch ganz anders aus, denn in Hiroshima passierte mir etwas, das in Japan einem Lottogewinn nahekommt: Mir wurde meine Geldbörse geklaut.

In Japan wird so selten etwas geklaut, dass Japaner ihr Geld stundenlang offen herumliegen lassen. Wer seinen Regenschirm verliert, der findet ihn bei der nächsten Polizeistation wieder, weil absolut alles zur Polizei gebracht wird.
Meine Situation sah derweil ziemlich anders aus. 80€ und 30.000¥ (entspricht 230€) waren weg und noch viel schlimmer: Personalausweis, Kreditkarte, Krankenversichertenkarte und Zugkarte. Nachdem mein Portemonnaie auch nach einem Tag nicht auftauchte ließ ich meine Karte sperren und ging zum Polizeirevier.

Japanische Polizeibox

In Japan gibt es winzige Polizeistationen an jeder Ecke. Die sind meist nicht viel größer als eine Wohnung und dadurch ziemlich gemütlich. Die Polizisten waren alle sehr bemüht und obwohl sie rudimentäre Englisch-Kenntnisse besaßen, sprachen sie immer wieder von einer verlorenen Geldbörse. So ungefähr nach dem dritten Erklärungsversuch verstanden sie dann, dass es sich um eindn Diebstahl handelte und das gesamte Revier war ebenso empört wie hilfsbereit. Es wurde eine englische Übersetzerin hinzugeschaltet und ich durfte die Details erklären. Ja, die Brieftasche befand sich im Schlafsaal, im Mantel und Nein ganz sicher nirgendwo anders. Abschließend bekam ich dann einen Zettel und man wünschte mir viel Glück.

Kalte Couchnächte

Da ich nicht einmal mehr mein Hostel zahlen konnte, durfte ich freundlicherweise auf der Couch schlafen (theoretisch zumindest, praktisch machte es die Kälte unmöglich und ich lag bis zum nächsten Morgen wach). Da wurde mir dann auch gleich meine Geldbörse gereicht. Eine der Reinigungskräfte hatte sie gefunden – leer. Immerhin hatte der Dieb mir alles bis auf die Zugkarte und das Geld gelassen. Sogar die 45.000 Indonesischen Rupien waren noch da. Es macgte mich wütend, dass sich der Dieb zu fein dafür gewesen war die 3€ mitzunehmen. Als ich dann auch noch meinen vorgebuchten Bus nach Kyoto verpasste, da ich die Haltestelle nicht finden konnte, waren weitere 50€ weg. Meine Kreditkarte war nun auch nutzlos, da sie sich nur vor Ort persönlich entsperren lässt und so organisierte ich 500€ per Western Union. Die Filiale in Hiroshima gab es jedoch seit Januar nicht mehr.
Am nächsten Tag lief ich dann zu der einzigen anderen Filiale, die in der gesamten Gegend eingetragen war und kam so zum Glück doch noch an mein Geld. Ich konnte mir nun ein neues Ticket kaufen und endlich aus Hiroshima verschwinden. Doch wie kauft man in Japan manuell ein Ticket?

„Sumimasen, Willer Basu tikketo konbini peimento?“

Irgendwas in der Art stotterte ich, als ich das japanische Pendant zum Kiosk betreten hatte. Nach über 20 Minuten ahnungslosen (aber sehr hilfsbereiten) herumgedrücke auf einer Maschine in der Ecke wurde mir dann klar, dass die Angestellten wohl auch keine Ahnung hatten, wie man dort das Bus Ticket zahlen konnte. Ich wurde eigens für mein Anliegen per Telefon mit einem englischsprachigen Konferenzraum verbunden, der wohl eigentlich für deutlich wichtigere Anliegen gedacht war. Dennoch wurde freundlich versucht mir zu helfen. Auch wenn es im Endeffekt nichts nützte, so war diese Höflichkeit immerhin eine gute Erfahrung. Am Ende half mir dann ein Hostel-Angestellter aus meinem Schlamassel.

Flucht vor den Kirschblüten

Was wollte ich eigentlich in Kyoto? Nun ich wolte von dort aus in die Berge fahren um dort in einem Ski-Resort zu arbeiten. Nachdem ich alle Hostels gebucht und Tickets schon vir Wochen bezahlt hatte, wurde mir dann abgesagt, weil der Schnee wohl nicht lange bleiben würde und damit keine Arbeitskräfte nötig wären. Und so saß ich in Kyoto fest und sah mir die Hostels an, die ich gebucht hatte. Unglücklicherweise hatte die Kirschblüten-Saison begonnen und es waren nicht nur 90% der Hostels ausgebucht, sondern auch sämtliche Hostels 60-120% teurer. Glücklicherweise ließen sich die gebuchten Nächte allesamt stornieren, weil meine Kreditkarte durch die Sperrung als „ungültig“ eingestuft wurde. Die Ausnahme war ein kleines traditionelles Haus, das sehr sehr gemischte Bewertungen hatte. Ich würde sehr bald herausfinden, warum…

Das alte Haus und die noch ältere Dame

Nachdem ich 2 Stunden durch die Kälte gelaufen war, kam ich dann endlich in dem malerischen Vorort an, wo sich das Hostel befand. Von außen sah das Haus gut aus. Ich zog meine Schuhe aus und klopfte an die hölzerne Schiebetüre. Wenig später öffnete mir eine augenscheinlich sehr alte Dame und übertrug meine Daten von Hand in ein Buch. Dann reichte sie mir ein Tablett mit einen Matcha-Ball und einer Tasse Matcha-Tee. Ein holzverkleidetes Radio spielte Nachrichten und ich kam nicht umhin zu bemerken, wie dreckig und zugemüllt der ganze Ort war. Überall standen kaputte Geräte herum, es häuften sich Einmachgläser, Plastiktüten und vieles mehr. Als ich dann in der Küche angelangt war, gab es dort zwar Kaffee, Tee und Säfte, letztere waren jedoch seit Monaten abgelaufen und Tassen und Geschirr waren staubig oder dreckig. Ich konnte es der alten Dame aber natürlich nicht im geringsten übel nehmen. Sicher hatte auch ihr Enkel ein eigenes Leben und konnte nicht rund um die Uhr dafür sorgen, dass seine Großmutter Gewohnheiten änderte, die 3 Mal so alt waren wie er selbst. Es gab kein Öl mehr für den Heizofen, weshalb ich über Nacht sehr fror, aber immehin entdeckte ich auf der Unterseite des Bettes ein paar, vor 30 Jahren eingeritzte, Initialen und im Rest des Raumes fand ich überraschenderweise ein englischsprachiges Buch über Künstliche Intelligenz von 1991. Auch fand ich anhand einer Jubiläums-Karte von 1995 heraus, dass das Hostel mindestens seit 1970 betrieben worden war. Egal wie dreckig es auch war (das Haus hätte es tatsächlich in eine RTL-Show geschafft), ich wusste es dennoch als Erfahrung zu schätzen und bewunderte die Betreiberin dafür, seit knapp 50 Jahren diesen Beruf nachzugehen.

Gefangen in Osaka

Gut zwei weitere Wochen war ich dann in Osaka gefangen, weil ich dort auf die Ankunft meiner neuen Kreditkarte warten musste. Osaka war zwar günstiger als Kyoto und doch wurmte es mich, so lange in einer Stadt gefangen zu sein, die ich bereits zu genüge gesehen hatte. Schließlich sagte ganz unverhoft ein neuer Ort auf Workaway zu. Bei dieser Plattform arbeitet man 3-5 Stunden täglich für seinen Gastgeber und bekommt im Gegenzug Kost und Logie. Beinahe wäre auch dieser Plan ins Wasser gefallen, denn die Kreditkarte brauchte länger als erwartet und somit konnte ich nicht den Termin einhalten, den ich meinen Gastgebern genannt hatte. Ich war in Panik und als dann endlich der lang ersehnte Brief kam, packte ich noch am selben Tag meine Sachen und kaufte mir ein Zugticket nach Nagano.

Fahrt in die Berge

Ich habe kein Mobiles Internet in Japan und so muss ich immer vorher genau planen, wann ich womit wohin gehe. Das kleine Örtchen Nozawa Onsen ist aber nunmal nicht so leicht zu erreichen und nach der 8-stündigen Fahrt nach Nagano, würde ich in einen Zug nach Iiyama steigen müssen und von dort aus einen Bus nehmen. Nun war aufeinmal der Zug nicht mehr gelistet und nur eine Alternative blieb noch: der Shinkansen Schnellzug (24€ für die eine Station). Den Bus hatte ich vorab schon verworfen, denn abgesehen von der ziemlich nutzlosen Info: 7-24 Uhr, zeigten die Fahrpläne an, dass der letzte Bus um 20:30 Uhr seine Runden drehte. Ich würde aber selbst wenn alles glatt lief erst um 21:15 in Iiyama ankommen.
So machte ich mich auf, schrieb und las entspannt in einem fast leeren Bus um mich von den vermeintlichen 3 Stunden-Marsch durch die Berge abzulenken, der mir drohte.
Dann ging es aber ganz einfach. Ausversehen kaufte ich auf der Suche nach dem Shinkansen das falsche Ticket für nur 4€ und wurde herumgeschickt. Plötzlich stand ich einsam auf einem Gleis mit dem Schild „Iiyama“ und dann kam 40 Minuten später auch tatsächlich ein Zug. Mein Buch war ausgelsen und wie es mein Glück so wollte stand als ich ankam sogar ein Bus nach Nozawa Onsen dar, der in 6 Minuten abfuhr. Vollkommen verdattert rannte ich zum nächsten Ticketautomat, zahlte 600¥ (ca. 4,5€) und rannte zum Fahrer. Der verfrachtete mein Gepäck und wies mich an, in den leeren Bus zu steigen. Ich fragte ich nach der Herberge zu der ich wollte und er breitete eine Karte aus, auf die er nach kurzem überlegen einen Punkt einzeichnete. Dann sagte er mir, ich solle bei „Nakao“ aussteigen und ich konnte mein Glück kaum fassen als ich bereits um 10 Uhr Abends in ein verschneites kleines Dorf trat. Ich schulterte mein Gepäck und navigierte mich dank Google Maps immer näher an mein Ziel heran. Da stand ich nun: Nozawa Peaks – Mein neues Zuhause für ein paar Wochen.

Geistervilla

Es war dunkel, es war kalt und die Herberge war leer. Ich tastete mich vorsichtig durch dunkle Korridore und kam mir vor wie in einem Horrorfilm. Da waren so viele Räume und nirgendwo WLAN (ganz schrecklich). Ich klopfte an Türen, rief fragend: „Sumimasen?“, doch nichts rührte sich. Die hölzernen Treppe knarrzte unter jedem meiner Schritte. Plötzlich fiel mir ein Telefon ins Auge. Ich hob den hörer an und drückte auf die A-Taste. Es piepte wiederholt und schließlich erwartete mich perfektes Englisch. Meine Gastgeber waren zur Station gefahren um mich dort abzuholen, sie wären in 20 Minuten wieder bei mir. Ich wurde freundlich in Empfang genommen und in meinen Raum gebracht. Matratze, Heizkörper und ein Schrank in den zwei weitere Betten Platz gefunden hätten. Der Boden war mit weichen Tatami-Matten ausgelegt und die Fenster hatten zusätzlich die typisch japanischen Papierrahmen – sogenannte Shoji-Screens. Sofort fühlte ich mich Zuhause.

Urlaub im Bergdorf

Und genau das ist es, was ich am Reisen so liebe. Ich sitze hiernin meinem eigenen Zimmer und lausche dem Wasser, dass aus den Bergen ins Tal geschwemmt wird, trinke billigen Kartoffel-Wein (Shoju) und sehe die letzten Sonnenstrahlen hinter der Kollosalen Gebirgskette verschwinden. Kleine Spatzen schwirren umher und ich freue mich schon auf morgen. Neben Fahrten mit dem Skilift, schlendere ich oft umher und besuche die öffentlichen Bäder. Sogenannte „Onsen“ sind typisch japanisch und leiten kochen heißes Quellwasser in Badehäuser. Der Ort hier ist seit über tausend Jahren für seine Onsen bekannt, daher sind die meisten kostenlos. Meine Arbeit besteht darin die Papierrahmen zu reparieren, einer fast schon meditativen Beschäftigung, der ich gerne nachgehe. An sich ist es schon Wahnsinn, für welch niedrige Summen man die schönsten Orte der Welt besuchen und dort leben kann.

Sei dir also versichert: Um die Welt zu sehen musst du es nur wagen aus deinem Alltag auszubrechen. Dank dem Internet finden sich mittlerweile tausend Wege um für Kost und Logie überall zu arbeiten, ohne dass du dich dafür auch nur ansatzweise abschuften musst.

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